Kinderarmut in einem reichen Land

Auf Einladung der Delmenhorster Linken hielt der Gesellschaftsforscher Prof.  Dr. Christoph Butterwegge aus Köln am Sonntagvormittag einen Vortrag in Delmenhorst zum Thema „Kinderarmut in einem reichen Land“.

„Über Armut wird in Deutschland immer noch nicht ausreichend geredet und das Thema ist immer noch mit Scham behaftet“, so der Politikwissenschaftler zu Beginn seines Vortrags, „Armut wird nicht konsequent bekämpft sondern verharmlost und „ideologisch entsorgt.“

Die Ursachen für Armut seien hierzulande in unserem Gesellschaftssystem zu suchen. Dazu gehört die Schaffung eines breiten Niedriglohnsektors in Deutschland durch die Agenda 2010. Das führt dazu, dass viele Beschäftigte arm sind, obwohl sie teils sogar in Vollzeit arbeiten, aber trotzdem von ihrem Lohn nicht leben können. „Die Finanzierung der sogenannten Aufstocker ist nichts anderes als eine Subventionierung mit zehn Milliarden Euro pro Jahr für Wirtschaftsunternehmen, die ihren Gewinn machen indem sie Dumpinglöhne zahlen,“ so Butterwegge. Mit der Agenda 2010 wurde auch die soziale Sicherheit stark verringert und mit den Hartz IV-Gesetzen wurde vielen Menschen die Lebensgrundlage entzogen.

Die Zahl der armen Kinder hat sich seit Einführung von Hartz IV im Jahre 2005 verdoppelt. In Delmenhorst ist jedes dritte Kind arm, das ist die zweithöchste Rate in Niedersachsen. Dabei sprechen wir in Deutschland von relativer Armut. Das heißt, dass zwar Grundbedürfnisse wie Wohnen, Essen oder Kleidung weitestgehend befriedigt werden können. Dass aber keine Teilhabe am kulturellen und sozialen Leben möglich ist. „Wenn ein Kind auf dem Schulhof ausgelacht wird, weil es im Winter Sommerkleidung trägt, dann ist das Gefühl am Rande der Gesellschaft zu stehen und nicht dazu zu gehören schlimmer, als die Kälte,“ stellt Butterwegge fest.

„Um Armut in Deutschland zu bekämpfen, müssen z. B. Steuergesetze geprüft werden. Selbst unter Helmut Kohl lagen die Steuersätze in einer Höhe, die uns heute fünfzig bis hundert Milliarden Euro an Steuereinnahmen bringen würden, „ so Butterwegge, und ergänzt: „Und Helmut Kohl war ganz sicher kein Kommunist.“ Eine Erhöhung des Mindestlohns der für alle gelten muss und eine existenzsichernde Grundsicherung wären Maßnahmen die unabdingbar sind. Außerdem ein Sozialsystem, das es auch Alleinerziehenden möglich macht selbstständig für ihr Auskommen zu sorgen weil z. B. die Unterbringung von Kindern in Ganztagsschulen gesichert ist.

„Es ist die Aufgabe des Sozialstaats, Armut zu bekämpfen,“ resümiert Prof. Dr. Butterwegge, „was auch fehlt, ist eine Rückkehr des Solidaritätsgedankens in der Gesellschaft. Es gibt derzeit wenig Sensibilität für dieses Problem.“ Diese Meinung teilten die interessierten Gäste, die mit ihren Fragen zu einer spannenden Diskussion beitrugen.